Sandburgbauen mit Obama

Das Strandbad Wannsee in Berlin am Mittwochmorgen, 19. Juni 2013, um 10 Uhr

Das Strandbad Wannsee in Berlin am Mittwochmorgen, 19. Juni 2013, um 10 Uhr

 

Im Stau auf dem Weg zum Wannsee lässt der Radiosender seine Hörer sprechen. “Hier ist Roland: Ich wünsch’ mir von Obama Streichhölzer, die am Stiefel brennen, wie im Wilden Westen.” Andere wollen von ihm mehr Geld oder weniger Drohnen. Auf jedem Sender Obama. Bestimmt wartet die ganze Stadt auf den ersten schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten, und ich muss die attraktivste Sandburg am Wannsee finden.

Es sind 32 Grad, Ferienbeginn, ZEIT ONLINE ruft zum ganz ganz großen Sandburgen-Hype auf (siehe Infokasten unten). Und außerdem hat Sand- oder auch Strandburgbauen Geschichte. Jenes harmlose Treiben von Alltagssorgen entlasteter Menschen erweist sich bei näherer Hinsicht als Verhalten von vielfältiger sozialgeschichtlicher Aussagekraft und erstaunlichem Symbolgehalt. So steht es schon im 1995 erschienenen Standardwerk: Die Strandburg: Ein versandetes Freizeitvergnügen. Und weiter: “Der Drang zum Burgenbauen muss als Äußerungsform einer typisch deutschen Mentalität angesehen werden.”

Aber erst die Hunderte Meter lange Schlange vor den Toren des größten Strandbades Europas. Rinko ist da. Er ist Key-Account-Manager und aus Belgien. Sein Freund Hans, arbeitssuchender Koch und aus Chile, wartet neben ihm. Rinko hat vergangene Woche seiner Kreativagentur gekündigt. Zuletzt sollte er Kennedy-Plakate für eine Kampagne der Berliner Morgenpost entwerfen lassen. Obama? In Belgien sei man froh, wenn man überhaupt eine Regierung hat, sagt er. Hans sagt, Sandburgbauen sei out, Frisbee gehe eher. Das Ehepaar vor ihnen erzählt, sie hätten vor mehr als 40 Jahren die letzte Burg zusammen gebaut und im Strandbad sei das eigentlich verboten, weil die Leute früher ihr Strand-Terrain mit immer größeren Burgwallen umzäunt hätten. Ich ahne, wird alles nicht leicht.

9:44 Uhr. Im Wasser schwimmen Algen, sieht dreckig aus. Auf dem 1,2 Kilometer langen Strand liegen Tausende Berliner und zwei halbe Sandburgen. Ich brauche Hilfe. Ich renne auf den einzigen langen Steg, immer weiter Richtung großer Turm, am Für-Unbefugte-Verboten-Schild vorbei. Ein starker Mann, Brüste wie Honigmelonen, kommt mir entgegen. Er stoppt mich:

– Was wollen Sie hier?

Ich bin Journalist, ich brauche Hilfe.

– Dann sind Sie hier falsch. Ich sage nichts.

Aber Sie sind doch Rettungsschwimmer, Sie kennen sich hier aus. Geht auch nicht um Obama: um Sandburgen.

– Mit der Presse redet nur unser Oberbademeister, Herr Ott. Arbeitet hier seit vier Jahrzehnten, finden Sie im Verwaltungsgebäude.

Haben Sie schon eine attraktive Sandburg gesehen? Darf man die hier überhaupt bauen?

– Klar doch. Aber vor dem nächsten Tag machen wir die alle wieder platt, Verletzungsgefahr. Verlassen Sie bitte den Steg.

Ich bahne mir den Weg zurück zum Eingangs- und Verwaltungsgebäude. Die Länge der Schlange vor der Kasse hat sich verdoppelt. Ich finde ihn im Treppenhaus. Axel Ott, der Oberbademeister und Betriebsleiter. Er sieht aus wie das Gegenteil seines Kollegen: klein, schmächtig, zäh, älter. Er läuft, umklammert sein Handsprechfunkgerät und ruft mir zu: Ausnahmezustand, eine Kasse ausgefallen, keine Zeit, Interview vielleicht später.
Ich frage noch: Alles wegen Obama? Er ruft: Na bestimmt, die halbe Stadt is’ ja gesperrt. Das Chaos verlagert sich.

Um fünf vor zwölf kommt dann auch noch die Bild-Zeitung. Eine junge attraktive Frau in Sommerkleid und Sommerhut und ein elegant sportlicher Fotograf. Sie gehen an der Schlange vorbei, verlangen am Eingang Herrn Ott und werden reingelassen.

Weshalb sie vordrängeln, frage ich die beiden.
Na weil wir hier arbeiten, sagt der Fotograf.
Worüber sie denn berichten, auch Sandburgen oder Obama?, frage ich die beiden.
Der Fotograf schaut böse. Ich muss etwas falsch gemacht haben. Er sagt, lies morgen die Zeitung. Dann laufen auch sie weg.
Ich kann nicht mehr, brauche Hilfe. Ich fahre in die Stadt, in die Redaktion zu meinen Kollegen. Sie sagen, ich soll zurück.

Am Nachmittag, im Stau auf dem Weg zum Wannsee, lässt der Radiosender Obama sprechen. Er redet von Gerechtigkeit und solchen Dingen. Vor dem Wannsee ist die Schlange nun so lang wie am frühen Morgen. Der Strand ist komplett von Menschen, Handtüchern, Luftmatratzen, Buddelsachen, Pommes, Zigaretten und Bällen bedeckt. An manchen Stellen sieht man noch Sand. Ich suche weiter, laufe vom Strandanfang bis zum Ende des FKK-Bereichs. Was ich finde, will ich dokumentieren.

Burg eins ist eher ein Berg, eine Enttäuschung, aber ich habe inzwischen Sonnenbrand und mich arrangiert. Burg zwei hat wenigstens einen Stock auf dem Dach, nicht schlecht. Und Burg drei überrascht mit einer Dinosaurier-Spitze. Etwa 46 Minuten habe ihr Sohn dafür gebraucht, sagt seine Mutter mit erhobener Brust. Burg vier sieht schon fast aus wie eine Schlossanlage.

Burg dreiBurg drei

Ich atme durch, und dann im FKK-Bereich, wo die Menschen nur halb so eng nebeneinander liegen, beginne ich vor Freude zu lachen. “Die Sandburg stirbt nie aus”, sagt Claudi. Das Matschedraufpacken mache besonderen Spaß. Sie hat zusammen mit Paul die höchste Burg des Wannseestrandes gebaut. Immer, wenn sie am Strand sind, bauen sie was.

Sie wirkt befreit und lebensfroh. Aber irgendwie kommen wir auf Obama zu sprechen. Claudi sagt, er interessiere sich nicht sonderlich. Aber die Ergebnisse seiner Rede habe sie eben auf dem Handy nachgelesen, bei Spiegel Online.

Burg vierBurg vier

Jetzt brauche ich wirklich den Oberbademeister. Ich sage Claudi, wie lebensfroh ZEIT ONLINE ist und suche Herrn Ott ein zweites Mal. Auf dem Weg am Ufer entlang verwickeln mich zwei junge Frauen, vielleicht zwischen 17 und 22, in ein kurzes Gespräch. Die eine trägt einen BH mit Leoparden-Muster, die andere hat einige Haare lila gefärbt. Sie rauchen. Ich frage nach dem Bademeister und Obama. Sie winken ab und sagen, Obama will nur das gleiche wie der Bush. Der habe ja auch gesagt, er sei ein Berliner, weil er in die Geschichtsbücher wollte. Da wollen alle hin.

Herr Ott lässt mich kurz in seinem Büro warten. Das Strandbad schließt bald. Auf seinem durchgeschwitzten T-Shirt steht “eintauchen” geschrieben. Er hatte heute viel Stress, aber er lacht. “Auf einer Skala von eins bis zehn war der heutige Tag eine 9,5”, sagt er. Die 10 gab es nur vor dem Mauerfall, als die Menschen an heißen Tagen noch nicht auf Brandenburgs Seen ausweichen konnten. Heute waren knapp 10.000 Besucher da.

Ich sage, mir kam es etwas eng vor.
Er lacht: “Ja, Spaß ist das dann nicht mehr.”
Ich frage nach den Sandburgen.
Er lacht: “Klar, wo Sand ist, wird gebaut.”
Ich frage nach.
Er lacht: “In den Siebzigern waren Künstler hier, die haben ganz große Kunst gemacht. Und heute stehen da unten bestimmt 100 Sandburgen.
Ich sage, ich habe nur weniger als zehn entdeckt.
Er lacht: “Da haben Sie bestimmt was übersehen. Kommen Sie einfach noch mal wieder.”

Erschienen auf ZEIT ONLINE

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