Ins Westfalenstadion haben sie ein kleines Kino gebaut, 25 gelbe Sitze vor einer fünf Meter großen Leinwand. Dort läuft unentwegt: Ricken schießt aus 25 Metern, der Ball fliegt im Bogen, 3:1, der BVB gewinnt gegen Juventus Turin. Helden wie Jürgen Kohler und Matthias Sammer wuchten den Champions-League-Pokal Richtung Himmel. Sechzehn Jahre ist das her, dieser märchenhafte und größte Erfolg des Clubs. Anschauen will sich das am Dienstagabend in Dortmund keiner. Die Gegenwart ist aufregender.
Schuld daran ist Jürgen Klopp. Erstmals seit 1998 ist der BVB wieder ins Viertelfinale der Champions League eingezogen. 3:0 hat sein Team gegen Schachtjor Donezk gewonnen. Die Art des Sieges dürfte dem Verein in Europa Millionen weitere Fans bescheren.
Die Qualität eines Trainers zeigt sich, wenn man in der Spielweise seines Teams einen Plan erkennt. Gegen den ukrainischen Meister war das Dortmunder Spiel die Vollendung von Jürgen Klopps Fußballidee. Seine Spieler liefen, schossen und kämpften, als hätten sie Fäden an Beinen, Armen und Köpfen. Als steuerte Klopp ihre Spielzüge fern.
Vor allem waren die Dortmunder leidenschaftlicher. Furienhaft begannen sie, ohne Atempause. Schon nach drei Minuten hatten sie sich zwei Ecken und die erste von zahlreichen Chancen herausgespielt. Der Rest der ersten Halbzeit war dann noch schöner.
Klopp schrie am Spielfeldrand, seine Spieler kombinierten auf dem Platz. Einmal, in der Anfangsphase, verstolperte Neven Subotic den Ball, das hätte gefährlich werden können. Doch der Abwehrspieler hechtete hinterher, grätschte und leitete sofort einen neuen Angriff ein. Ein anderes Mal, kurz vor dem Seitenwechsel, flog der Ball hoch in die leere Hälfte von Donezk. Mario Götze rannte hinterher, neben ihm Donezks Kapitän Srna, einen Kopf größer. Es ging nicht um einen Torschuss, keine wichtige Szene. Aber Götze sprintete auf zehn Metern zwei schneller. Nach dem Seitenwechsel musste Sebastian Kehl für den verletzten Sven Bender auf den Platz. Kehl war angeschlagen, lief mit gebrochener Rippe aufs Feld. Doch nach anfänglichen Schwächen fügte er sich ins Dortmunder Spiel ein, als wäre nix gewesen.
Vor Spielbeginn hatte Mircea Lucescu, der rumänische Trainer von Schachtjor Donezk, verkündet: “Die Mannschaft, die gewinnt, wird ins Finale kommen.” Danach staunte er und verzweifelte ob der Überlegenheit der Dortmunder. In der Pause soll er seine Spieler so laut angebrüllt haben, dass Michael Zorc die Schreie bis in den Gang hörte.
Zorc erzählte diese Randgeschichte keinem Journalisten. Der Sportdirektor spricht selten Geschichten über die Borussia, dabei hat er die spannendsten erlebt. Im BVB-Kino kann man sehen, wie Zorc als Spieler 1997 beim Sieg der Champions League dabei war. Bevor er Sportdirektor wurde, war er lange Kapitän. Kein Fußballer hat mehr Bundesligapartien für Dortmund bestritten als Zorc. Aus Sicht vieler Reporter klingen seine Worte meist treffend, aber langweilig.
Die Sache mit dem brüllenden Gästetrainer hatte Zorc nur Klopp erzählt. Der gab sie am Ende an die Journalisten weiter. Lächelnd ergänzte er, in der Kabine der Ukrainer seien dermaßen die Fetzen geflogen, dass man gefürchtet habe, der superreiche Oligarch des Vereins, Rinat Achmetow, stoße persönlich hinzu, um den teuren Stars Beine zu machen. Die meisten Journalisten notierten, was Klopp sagte.
Vielleicht ist es vor allem der Verdienst Michael Zorcs, dass der BVB nach dem faszinierenden Abend gegen Donezk erstmals wieder zu den Favoriten in der Champions League zählt. Der Sportdirektor hat in den vergangenen zehn Jahren zusammen mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung, Hans-Joachim Watzke, aus einem hochverschuldeten einen hochprofitablen Verein gemacht. Im ersten Halbjahr des laufenden Geschäftsjahres wird der BVB einen Gewinn von 17,5 Millionen Euro erzielen.
In der Öffentlichkeit kommt Zorc selten als Vater des Erfolgs vor. Ironischerweise liegt das an seiner wohl erfolgreichsten Handlung für den BVB: 2008, als der Klub in der europäischen Rangliste auf Platz 119 gelistet war, verpflichtete er Jürgen Klopp. Der neue Trainer fiel sofort mit langen Wuschelhaaren und losem Mundwerk auf, der sportliche Erfolg ebenso: Bundesligarang sechs im ersten Jahr, Rang fünf und Europa-League-Qualifikation im zweiten, Meisterschaft im dritten, Double im vierten. Und in dieser Saison nun erstmals wieder Träume vom wichtigsten aller Vereinspokale. Der BVB hat keines seiner acht Spiele in der Champions League verloren und jedes Heimspiel gewonnen.
In der Ausdrucksweise des Jürgen Klopp heißt das: “extrem cool”. Klopp sagte, wieso sein Team an diesem Abend Donezk aus dem Stadion gefegt habe. Zuvor hatte Ottmar Hitzfeld, der Trainer der damaligen Dortmunder Champions-League-Sieger, in einer TV-Talkrunde den BVB zum Topfavoriten erklärt. Es war schon spät, etwa zwanzig Meter neben dem BVB-Kino blickten während der Pressekonferenz alle Augen auf Dortmunds Trainer. Klopp hatte einige Interviews gegeben. Aber die Müdigkeit konnte seinen Statements wenig anhaben. Gegen die Ukrainer sei es heute “wie geschnitten Brot” gelaufen, sagte er, und bedankte sich bei Hitzfeld für das Lob.
Klopp hat das sympathische Angeben perfektioniert. Nach guten Spielen schafft er es, seine Mannschaft und seine Arbeit als die beste der Welt darzustellen. Nach Champions-League-Spielen macht er das inzwischen in Schlips und Kragen. Der Verdacht der Prahlerei kommt dabei so gut wie nie auf. Der Menschenfänger Klopp zieht seine Zuhörer in den Bann, alle. Wenn er mal nicht redet, klopft ihm jemand auf die Schulter oder möchte seine Hand schütteln. Am Ende des Abends fragte noch ein Übersetzer nach einem Handyfoto. Klopp hatte zwar längst genug, aber das Foto bekam der Ukrainer.